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Warten auf den Wolf - Fotosafari im Yellowstone Nationalpark

Das Wolfsrudel im Yellowstone Nationalpark im Nordwesten der USA hat eine eigene Fangemeinde. Hunderte Tierfreunde stehen bei Tagesanbruch an Straßen und Aussichtspunkten, um ein Foto von den scheuen Tieren zu schießen. Eins steht für die Wolf-Freunde fest: Whale Watching war gestern.

Wolf-Fans im Yellowstone Nationalpark: Mit der Kamera auf der Jagd

Cooke City - Eigentlich mögen Wölfe keine Paparazzi. Doch Jared Baecker stört sich daran nicht. Bereits vor Anbruch der Dämmerung hat er zwei Teleskope auf den matschigen Grashügel geschleppt. Baecker - bärtig, mit Bauch und Brummstimme - ist Biologe und leitet Gästegruppen auf mehrtägigen Fotosafaris durch den Yellowstone und den Grand Teton Nationalpark im US-Bundesstaat Wyoming. "Ich weiß, dass ihr euch hier irgendwo herumtreibt", sagt er und kramt ein Funkgerät aus der Jackentasche. Sucht er den Kontakt zu den Wölfen per Walkie-Talkie? Es gibt fragende Gesichter, während Jared an den Knöpfen dreht und geistesabwesend dem Rauschen im Äther zuhört.

Einst stromerten Wolfsrudel über den gesamten nordamerikanischen Kontinent - von der arktischen Tundra bis in den Süden Mexikos. Als gefährliche Raubtiere und Viehdiebe waren sie verrufen und wurden hemmungslos gejagt. Erst 1926 stellte der National Park Service die systematische Ausrottung ein. Längst war damals auch das letzte Exemplar aus dem Yellowstone Nationalpark verschwunden. Erst später wurde die wichtige Rolle der Grauwölfe als Teil des Ökosystems erkannt. Im Jahr 1995 wurden 14 Tiere aus der kanadischen Provinz Alberta, zwei Jahre später 17 weitere aus der Provinz British Columbia erfolgreich wieder in den Yellowstone Park eingebürgert. Mindestens 174 der scheuen Räuber hausen inzwischen hier, und sie sind zu den vierbeinigen Stars im ältesten Naturschutzgebiet der Welt aufgestiegen. Auf rund 8900 Quadratkilometern Fläche - damit ist der Park fast halb so groß wie Sachsen - hat die wilde Prominenz viel Platz, um sich vor drei Millionen Schaulustigen pro Jahr zu verkriechen. Keine Spur von Canis lupus - trotz riesenfacher Vergrößerung sieht Baecker nur "Milchsuppe" durch sein Objektiv.

Eine wässrig-weiße Morgensonne quält sich über den Horizont, von bleichen Salbeibüschen hängen dicke Tautropfen herunter. Nebelschleier verschwimmen mit Wolkenfetzen, und fahler Frühdunst wabert über dem schlammigen Lamar River. An dessen zerfaserten Ufern haben aufgeweckte "Wolf Watcher" längst Position bezogen. Zu Füßen des knapp 3000 Meter hohen Druid Peak schleicht eine Blechlawine im Schneckentempo in Richtung Trout Lake. In den Haltebuchten am Straßenrand herrscht reges Treiben - kaum eine Parklücke ist mehr zu kriegen. "Wolf 21" prangt auf dem Nummernschild eines Geländewagens. Der National Park Service hat den Tieren keine Namen gegeben, sondern sie nummeriert, um emotionale Bindungen zu vermeiden, erklärt Jared. Wohl vergeblich: "Wolf-Groupies" überall aus den USA verbringen ihren kompletten Urlaub hier. Aufs Stativ geschraubte Ferngläser und Fotoapparate stehen Spalier. Denn das Lamar Valley gilt als bester Platz im Park, um Wölfe zu beobachten.

Bockende Büffelkinder, schwangere Dickhornschafe

Mehrere Reiseveranstalter in der Umgebung bieten Exkursionen in Yellowstones Tierreich an. Der gemeinnützige Verein Wildlife Expeditions aus Jackson in Wyoming kutschiert Besucher zum Beispiel in einem zum Safari-Mobil umgebauten Minibus mit aufklappbaren Dachluken durch den Park. "Wolf and Bear Expedition" ist der viel versprechende Titel ihrer beliebtesten Tour. Aber ob man wirklich die Tiere sieht? Das war gleich die erste Frage, als die Kleingruppe am Vortag erwartungsvoll ins Exkursionsgefährt kletterte. Eine Garantie gebe es natürlich nicht, schüttelte Reiseleiter Baecker den Kopf: "Aber in 90 Prozent aller Fahrten sehen wir tatsächlich beide." Genau 3,5 Autostunden später - vorbei an bockenden Büffelkindern, schwangeren Dickhornschafen, fischenden Seeadlern und einem direkt am Straßenrand grasenden jungen Elchbullen, der das damit verursachte Verkehrschaos zu genießen scheint - lässt sich tatsächlich der erste Bär im Gebüsch blicken: Ein Schwarzbär, der sich interessiert an eines der wenigen privaten Blockhäuser im Park heranschleicht. Na, bitte! Doch jetzt, nach einer viel zu kurzen Nacht am Nordostrand des Parks in dem 50-Seelen-Nest Cooke City, wo es weder Telefone noch Wecker in den Motelzimmern gibt, fehlt noch immer ein Wolf auf der Liste.

"Amerikas Serengeti" wird dieser Teil des Yellowstone Parks manchmal genannt - oder weniger romantisch "Killing Fields", was so viel wie Schlachtfelder bedeutet. Denn wenn im Frühjahr große Herden von mächtigen Wapiti-Hirschen mit ihren neugeborenen Kälbern auf den Hügeln im offenen Gelände weiden, sind hungrige Raubtiere meist nicht weit. Das behauptet jedenfalls Jared. Aus diesem Grund sind wohl auch alle anderen Wolf-Fans im Lamar Valley aufgetaucht. Schon lange ist der Yellowstone Nationalpark als geologisches Wunderland bekannt. Drei gigantische Vulkanausbrüche ereigneten sich hier in den vergangenen zwei Millionen Jahren. Die letzte Eruption vor ungefähr 640.000 Jahren ließ einen kesselförmigen Krater von 50 mal 70 Kilometern zurück. Oberflächennahe, glutheiße Magmakammern liefern auch heute noch den Kraftstoff für blubbernde Schlammlöcher, Fumarolen, Thermalquellen und rund 500 aktive Geysire - so viele wie nirgendwo sonst auf der Erde.

Wenn sie wenigstens heulen würden...

"Old Faithful" ist der berühmteste von ihnen. Durchschnittlich alle 91 Minuten schießt der "Alte Getreue" eine bis zu 55 Meter hohe dampfende Säule von bis zu 40 Kubikmetern Wasser in die Luft. Damit ist er weltweit zwar weder der höchste noch der regelmäßigste und auch nicht der größte Geysir. Aber er ist der verlässlichste und darum zu einem richtigen Touristenmagneten geworden. Jared Baecker ist das nur Recht: "So lange sich die meisten Leute um 'Old Faithful' drängeln, kriegen wir hier wenigstens noch einen Parkplatz." Dass der Frühling längst offiziell begonnen hat, bedeutet in Wyoming nicht das Geringste: Es sind nur wenige Grad über Null. Nun fängt es auch noch an zu schneien. Wenn sie gefälligst mal heulen würden, wie es sich für anständige Wölfe gehört, damit man sie orten könnte! Plötzlich knackt das Funkgerät: "Einheit 1 an 31. Verdächtiges Objekt gesichtet. Drei Espen links vom dreieckigen Stein", schnarrt es aus dem kleinen Lautsprecher. Triumphierend schiebt Jared die Kapuze zurück: "Das war Rick McIntyre." Der Teilzeit-Parkranger wisse die Frequenz der Radio-Halsbänder, die einige Wölfe tragen, und könne die Tiere damit orten. "Und ich kenne Ricks Sendekanal", strahlt Baecker. Das sei zwar ein bisschen gemogelt, "aber so raffiniert wie Gevatter Wolf sind wir schon lange." Regt sich wirklich etwas hinter dem dicken Stein? Schnell wird das Teleskop in Position gebracht.

Auf einmal sind sie da

Mit quietschenden Reifen hält ein verbeulter Plymouth mit riesiger Antenne auf dem Dach im Sichtfeld: Rick McIntyre, mit blondem Stoppelbart und speckiger Schirmmütze, die lokale Wolf-Koryphäe. Jared reibt sich zufrieden die Hände: "Wir sind genau an der richtigen Stelle." Plötzlich steckt ein großer Graurücken-Wolf seine spitze Nase hinter dem Dreiecksfelsen hervor. Und auf einmal scheinen überall welche zu sein: Zwei, drei, nein - vier laufen parallel zum Fluss durch die silbrigen Salbeibüsche. Ein anderer überquert die Straße und stoppt für einen Moment genau in Schussweite der Fotoapparate. Der Wolf putzt sich mit der Pfote über das linke Ohr, öffnet die Schnauze fotogen, fast scheint es, als grinse er mit gebleckten Zähnen in die Kameras - wie es sich für einen richtigen Star gehört.

Von Heike Schmidt,

Quelle: Spiegel Online.