Rico ist ein Hund. Aber er lernt Sprache auf eine
Art, wie sie bisher nur Kindern zugetraut wurde, und er spielt mit den gleichen
Sachen: 200 Plüsch- und Plastiktiere gehören ihm. Er kennt sie beim Namen und
kann sie auf Befehl apportieren.
Hundesbesitzer ahnten schon lange, was Forscher des Max-Planck-Instituts nach
drei Jahren intensiver Arbeit mit einem Border-Collie namens Rico jetzt
wissenschaftlich erwiesen haben: Herrchens bester Freund versteht die
menschliche Sprache überraschend gut - und zeigt Fähigkeiten, die bisher nur bei
Kleinkindern vermutet wurden.
Rico hatte die Menschen bereits vor fünf Jahren in der TV-Sendung "Wetten,
dass..." erstaunt. Mit seiner imposanten Gabe, Dutzende ähnlich aussehender
Plüsch- und Plastiktiere auseinander zu halten, war er Wettkönig geworden. Der
Hund kennt die Namen von mehr als 200 Gegenständen und kann sie richtig
zuordnen, er kann sein Wissen in neuen Situationen anwenden und verfügt über ein
hohes Abstraktionsvermögen. Außerdem erlernt er neue Wörter nach einem ähnlichen
Prinzip wie kleine Kinder: Er erkennt, dass ein unbekanntes Wort zum einzigen
unbekannten Gegenstand inmitten vertrauter Dinge gehören muss.
Juliane Kaminski, Julia Fischer und Josep Call vom Max-Planck-Institut für
evolutionäre Anthropologie in Leipzig demonstrierten jetzt in Berlin, was die
Intelligenzbestie kann. Vor surrenden Kameras und klickenden Fotoapparaten
zeigte Rico, wie er auf Anweisung gelbe Plüschsonnen, gräuliche Flauschmäuse und
weiße Stoffschneemänner aus der Spielzeugsammlung herauspickte.
Schlauer als trainierte Affen und Delfine
Zwar glauben viele Hundebesitzer zu wissen, dass ihr Haustier jedes Wort versteht. Doch der
wissenschaftliche Nachweis fällt ungleich schwerer. Wie die Forscher in der
aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science" (Bd. 304, S. 1682)
schreiben, musste Rico mehrere Tests durchlaufen. Zur Prüfung seines
Wortschatzes wurde Rico 40 Mal in einen Nebenraum geschickt, um ein bestimmtes
Spielzeug zu holen. 37 Mal kam der Collie mit dem richtigen Gegenstand zurück.
Mit insgesamt mehr als 200 verschiedenen Worten übertrifft Ricos Vokabular sogar
das von trainierten Affen, Delfinen, Seelöwen und Papageien.
Vielleicht noch erstaunlicher ist, dass der Hund Fähigkeiten zu besitzen
scheint, die bisher nur bei Kleinkindern beobachtet wurden. Hält man dem Rico
einen ihm unbekannten Gegenstand hin und sagt: "Das ist eine Schlange", so kann
der kluge Kerl das Wort ganz augenscheinlich mit dem Gegenstand in Verbindung
bringen. Legt man die Schlange danach zwischen bereits bekannte Spielzeuge,
schnappt sich Rico zielsicher das Stoffreptil.
Rico vollbringt auch ein noch kniffligeres Kunststück: Wirft seine Herrin ihm
ein unbekanntes Spielzeug in eine Sammlung und bittet Rico um die Giraffe, dann
läuft Rico los und holt die Giraffe - obwohl er das Wort vorher noch nie gehört
hatte. Der Hund, folgern die Forscher, kann also durch hoch abstrahiertes
Ausschlussverfahren zu dem Schluss gelangen, dass "Giraffe" der Name für den
Gegenstand sein muss, den er bislang noch nicht kannte. Für Teamleiterin Julia
Fischer ist das eine "reife, eigenständige Denkleistung", die auf logischen
Operationen beruht.
Bild: Border Collie beim Spiel.
Menschliche Fähigkeit beim Hund
Bisher hatten Wissenschaftler geglaubt, dass dieses so genannte "schnelle
Zuordnen" - das Erschließen von Gegenstands-Bezeichnungen durch logisches
Ableiten - eine rein menschliche Fähigkeit sei. Offensichtlich, so die Forscher,
basieren aber bestimmte Teile des Sprachverständnisses auf geistigen
Fähigkeiten, die nicht nur beim Menschen vorkommen und die sich unabhängig von
der menschlichen Sprache entwickelt haben.
Zudem besitzt Rico ein enormes Erinnerungsvermögen: Selbst vier Wochen nach dem
Erlernen neuer Begriffe konnte er sich noch korrekt an die Worte erinnern -
selbst wenn er in der Zwischenzeit die Gegenstände nicht zu Gesicht bekommen
hatte. Diese Erfolgsquote entspricht laut Fischer der von dreijährigen Kindern.
Das hohe Abstraktionsvermögen der Vierbeiner ist etwa den Trainern von
Blindenhunden schon seit langem bekannt. Bei der Ausbildung müssen die Tiere
lernen, ihr Herrchen auf Befehl zur nächsten Treppe, zu einer freien
Sitzgelegenheit oder zur Tür zu führen. Ausbilder berichten, dass die Tiere
Begriffe verstehen lernen und dann in der Lage sind, an jeder beliebigen
Bushaltestelle, vor einem Gebäude oder in einem Zimmer den Weg zum Ein- oder
Ausgang zu weisen.
Auf den Menschen gekommen
Wieso aber sind Hunde so klug? Oder ist es nur Rico? Auf diese Frage kann das
Forschertrio nur mit Hypothesen antworten. Vielleicht, so Juliane Kaminski, hat
es mit der Domestizierung der Tiere zu tun. Schon seit 15.000 Jahren leben Hunde
mit Menschen zusammen. "Es könnte sein", so die Forscherin, "dass sich die
kognitiven Fähigkeiten der Hunde denen der Menschen angepasst haben."
So werten Hunde zum Beispiel menschliches Zeigen und Schauen als Kommunikation -
im Unterschied zu ihren nächsten Verwandten, den Wölfen. Selbst mit Menschen
aufgewachsene Wölfe können mit dem Konzept des Schauens und Zeigens nichts
anfangen. Schafe allerdings, die ebenfalls seit rund 10.000 Jahren mit Menschen
leben, reagieren ebenfalls auf menschliche Gesten und Blicke.
Auch Ricos Besitzerin Susanne Baus reagierte mit einem (gequälten) Blick, als
sie gefragt wurde, ob Rico denn noch mehr Worte lernen könne. "Ja", meinte sie,
"aber ich habe nicht noch mehr Platz für weitere Stofftiere."
Von
Julia
Albrecht
Quelle: Spiegel
Online am 10. Juni 2004
Bildnachweis: Gettyimages