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Stadt der vergessenen Tiere

 

Ein Großteil der Bewohner hat New Orleans verlassen. Zurückgeblieben sind ein paar tausend Menschen - und rund 50.000 Tiere. Das macht die Evakuierung teilweise besonders schwer. Denn die Tierliebhaber sollen ihre Schützlinge zurücklassen - eigentlich.

 

New Orleans - Peter Block ist geduldig. Gemeinsam mit seinen Liebsten Venus, Serena und Jasmine wartet er darauf, New Orleans zu verlassen - endlich. Die vier haben Hunger, die letzten Tage waren ein einziger Kampf gegen das Wasser und ums Überleben. Nachdem der Hurrikan die eine Hälfte ihres Hauses in der Nähe des Kanals zerstört hatte, überschwemmten Wassermassen die andere. Venus, Serena und Jasmine wirken entspannt, ruhig. Sie sind die Letzten, die Block geblieben sind, nachdem sein Vater und zwei seiner Schwestern in den vergangenen Monaten an Krebs gestorben sind. Nur mit den drei Hunden will er die Stadt verlassen, um mit 116 Dollar in der Tasche irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Weit weg von der stinkenden Stadt.

 

Bild: Peter Block und seine Hunde Venus, Serena und Jasmine: Warten auf den privat gecharterten Bus, der Menschen und ihre Tiere aus New Orleans bringt.

"Ich lebe für die drei", sagt Block und liebkost Venus, Serena und Jasmine. "Meine Mädchen" nennt er sie stolz. Nach Baton Rouge soll ein gecharterter Bus den Mann, die beiden Deutschen Doggen und den Collie bringen - in Sicherheit vor den giftigen Wassermassen.

Doch der Weg aus der Stadt ist in den meisten Fällen für Mensch und Tier kein gemeinsamer: Polizisten überprüfen, was die Flüchtlinge in Taschen und Rucksäcken mitnehmen möchten. Wer versucht, seinen geliebten Hamster oder gar einen Vogel mit in den Bus zu schmuggeln, bekommt Ärger. Solange noch Menschen gerettet werden müssen, dürfen Tiere nicht mit.

Die Zeiten in New Orleans sind hart - für Mensch und Tier. Auch wenn sich die Flut langsam aus der Stadt zurückzieht haben der Sturm und die Wassermassen alltägliche Aufgaben zu unüberwindbaren Hürden anwachsen lassen: schlafen, zur Ruhe kommen, Essen finden, das nicht durch Bakterien kontaminiert ist. Die stinkende, braune Giftbrühe gefährdet alle und alles, das sich noch in New Orleans befindet.

Zu denen, die die Stadt trotz eindringlicher Aufrufe noch immer nicht verlassen haben, gehören Einzelgänger und Obdachlose, Menschen, die fürchten, alles zu verlieren. Und Tausende Katzen, Hunde, Hamster, Vögel, Reptilien. Unter den 10.000 Bewohnern, die sich noch in der Stadt befinden sind besonders viele Tierfreunde, die sich weigern, ohne ihre Schützlinge zu fliehen.
 


Die Retter suchen nach Menschen, nicht nach Tieren

Die klammern sich erbittert an ihr Leben, sitzen auf Dächern überspülter Autos und zerstörter Häuser und verhungern langsam, während die Retter in den Booten nach Menschen suchen. Einige haben dem Giftwasser getrotzt, sind eifrig zu den Booten der vermeintlichen Retter geschwommen, um dort angekommen zurück ins Wasser geworfen zu werden. Aus Sorge um Gesundheitsrisiken werden die Tiere nicht mitgenommen. Nachts laufen Rudel streunender Hunde durch die Müllberge, ein Geheule, Gejaule und Gekläffe schallt durch die verlassene Stadt.
 

Bild: Vor den Trümmern seiner Existenz: Joe Brooks und sein Hund an der Stelle, an der einmal sein Haus stand.


Viele Tiere haben es nicht geschafft: Ihre Kadaver treiben im schmutzigen Wasser, liegen an Straßenrändern. Und auch die Vierbeiner, deren Besitzer sich geweigert haben, sich von ihnen zu trennen, egal wie viel Wasser noch kommt, leiden an der Seite ihrer Herrchen und Frauchen.

Die Bilder der verlassenen Tiere seien mit die Schlimmsten, die sie je gesehen hätten, berichten Helfer. "Es ist sehr viel schlimmer, als wir alle uns das vorgestellt haben", zitiert die "Los Angeles Times" Wayne Pacelle, den Präsidenten des Tierschutzbundes der Vereinigten Staaten. Die Organisation koordiniert den Einsatz von rund 250 freiwilligen Helfern, die die verschiedenen Tierschutzorganisationen in die Region geschickt haben.
 


Helfer gehen von 50.000 Tieren aus

"Wir waren bereits am Dienstag, einen Tag nachdem der Hurrikan zugeschlagen hat, in der Stadt. Aber die Verantwortlichen haben uns den Zugang in den ersten Tagen verwehrt", so der Tierschützer weiter. "Wir haben 2000 E-Mails und Anrufe von Menschen erhalten, die New Orleans verlassen haben und ihre Tiere in den Häusern zurücklassen mussten. Sie bitten uns inständig, ihre Tiere zu retten." Und das seien nur die Zahlen für New Orleans. In den umliegenden Regionen sehe es ähnlich aus, vermutet Pacelle.

Die Organisation geht von rund 50.000 zurückgelassenen Tieren in New Orleans aus. "Die Uhr tickt. Es zerreißt uns zu wissen, dass so viele Tiere in Not sind und wir es nicht alleine schaffen, schnell genug bei ihnen zu sein." In unzähligen Weblogs beschreiben Besitzer die zurückgelassenen Tiere, bitten um ihre Rettung. Außerdem gibt es spezielle Suchmaschinen, um Besitzer und Schützlinge möglichst schnell zu vereinen.

Die Ansage, Menschen zu retten aber ihre Tiere zurückzulassen, sei kontraproduktiv, sagte Pacelle der Zeitung der "LA Times". Zum einen würden Menschen sich weigern, die Stadt ohne ihre Tiere zu verlassen, zum anderen würden Menschen wegen ihrer Vierbeiner in die Stadt zurückkehren. "Man arbeitet dagegen, das Leid zu lindern", so Pacelle.

 

Bild: Der Einsatz der Tierschützer: Willie Cirone trägt einen Hund, den er in den Straßen von New Orleans gefunden hat.
 


"Das Leiden ist überwältigend"

Tierschützer waten durch die modrigen Wassermassen, bahnen sich mit Stemmeisen ihren Weg in fremde Häuser, brechen Türen und Fenster auf, hinter denen Tiere vermutet werden. "Ich wurde gebissen, gekratzt, hatte Risse am Kopf", zitiert die "LA Times" eine Freiwillige aus South Carolina. Aber der Einsatz sei es wert, sagte Jane Garrison weiter. Nach einem viel zu langen Mittwoch hatten sie und ihr Team 18 Tiere gerettet: Kaninchen, Chinchillas, Hunde und Katzen.

Aber die Suche ist schwierig: Viele Tiere hören nicht, wenn man sie ruft. Garrison und ihre Kollegen verbrachten Stunden damit, miauend und gurrend in unbekannte Ecken und mögliche Verstecke zu spähen. Wenn sie unter einer angegebenen Adresse kein Tier finden, stellen sie Näpfe mit Futter und Wasser auf und notieren sich die Adresse. "Das Leiden ist überwältigend", sagt Garrison. "Manchmal haben die Tiere zwar noch Futter, aber kein Wasser mehr. Es kommt auf jede Sekunde an." Bisher war die Mehrzahl der Tiere, die die Helfer bergen konnten, noch am Leben.

Im Süden Louisianas wurden verschiedene Heime für Tiere errichtet, einige davon in der Nähe der Notunterkünfte ihrer Besitzer. So können Evakuierte ihre vierbeinigen Freunde besuchen. Das Institut für Veterinärmedizin der Louisiana State University beherbergt Hunderte Hunde und Katzen in einer großen Halle auf dem Campus. Die Helfer vor Ort haben eine Mission, auf der Homepage heißt es "Wir sorgen liebend für die Tiere und bieten ihnen eine Unterkunft, bis sie wieder mit ihren Familien vereinigt werden können."

"Wir denken, wir werden vielen Menschen, die alles verloren haben, eine große Freude machen, wenn sie erfahren, dass doch nicht alles dahin ist", berichtet Laura Maloney von der Tierschutzgesellschaft Louisiana. Die Tiere sind für die Menschen, die durch "Katrina" alles verloren, haben auch eine seelische Stütze, eine Konstante im Chaos.
 

Bild: Verlassen an der Autobahn: Ein festgebundener Hund bellt am Rande eines Highways in New Orleans.


"Die Tiere benehmen sich besser als die Menschen"

Außerdem haben Fluten neben den Haustieren auch den Bewohnern des Zoos und des Aquariums von Louisiana zugesetzt. Durch den tagelangen Stromausfall konnte die Sauerstoffpumpe im Aquarium nicht betrieben werden, rund ein Drittel der 4000 Fische sind erstickt. Im Zoo kümmern sich derzeit nur zwölf Angestellte um die rund 1200 Tiere.

Nachdem Hurrikan "Andrew" 1992 den Zoo von Miami zerstört hat und als Folge wilde Tiere durch die Region streunten, verstärkte der Zoo von New Orleans seine Schutzmaßnahmen. Die Verluste sind entsprechend minimal, Berichte über das Verschwinden von Raubkatzen, Bären oder Schlangen werden als falsch zurückgewiesen.

"Die Menschen hier lieben ihre Tiere mehr als ihre Mitmenschen - zu Recht", zitiert die "Los Angeles Times" Steve Dey, der in der zerstörten Stadt auf die Schoßhunde zweier älterer Nachbarn aufpasst, die von den Behörden daran gehindert werden zurückzukommen. "Das Traurige ist, dass sich die Tiere hier sehr viel besser benehmen als die Menschen. Sie sind erzogen, sie sind nicht brutal."

 

Bild: Bis sie wiederkommen: Hunde warten auf einem überfluteten Autodach auf die Rückkehr ihrer Besitzer.

Während Block, seine "Mädchen" und die anderen auf den privat gecharterten Bus warteten, der sie und die Tiere nach Baton Rouge bringen sollte, gab es plötzlich doch noch einen Hoffnungsschimmer. US-Soldaten kamen, um den Wartenden mitzuteilen, dass die Regierung Menschen und ihre Tiere hinfliegen würde, wohin sie möchten. Kapitän Jamie Uptgraft sagte, er und seine Männer hätten in den vergangenen zwei Tagen versucht, Menschen und ihre Tiere zusammenzutrommeln und die Besitzer davon zu überzeugen, die Stadt zu verlassen. Vergeblich. "Solange sie in einem Käfig sind, nehmen wir sie mit", gab er nach.

 

Quelle: www.spiegel.de (Artikel von Barbara Hans)