Wo der Wolf fischt
Bären auf Lachsfang sind ein vertrautes Bild. Wie gut auch Wölfe diese Kunst beherrschen, haben kanadische Forscher entdeckt.
Im Jahr 1963 schilderte der Biologe und
Schriftsteller Farley Mowat ein erstaunliches Verhalten bei arktischen Wölfen:
Statt Karibus und Moschusochsen zu hetzen, hatten sich seine Studienobjekte im
Sommer vornehmlich auf unspektakulären Mäusefang verlegt. 40 Jahre später ist
das Fress-Verhalten der intensiv erforschten Tierart Canis lupus immer noch für
Überraschungen gut. Unlängst haben die Biologen Chris Darimont und Tom Reimchen
von der Universität von Victoria in Kanada den Speiseplan von Wölfen um gleich
drei Einträge ergänzt: Mies- und Venusmuscheln sowie Seepocken. Und sie
lieferten als erste genaue Daten von der Jagd der Wölfe auf den Pazifischen
Lachs.
Darimont, der im Auftrag der Raincoast Conservation Society im Bereich des Great
Bear Rainforest an der Pazifikküste Kanadas arbeitet, hatte sich bei einer
Fellanalyse über ein merkwürdiges Verhältnis zwischen den Kohlenstoff-Isotopen
C-12 und C-13 sowie den Stickstoffvarianten N-14 und N-15 gewundert. Denn diese
Daten ließen darauf schließen, dass die Wölfe Nahrung aus dem Meer bezogen
hatten. Vor allem im Herbst, so ergaben die Untersuchungen des Biologen, hatte
das Wolfsfell besonders viele Nährstoffe marinen Ursprungs aufgenommen - während
der Zeit der Lachszüge.
Bild: Schlaue Wölfe erschließen den Lachsfang? Hier: Canis lupus hudsonicus, photographiert in Kanada.
Daraufhin neugierig geworden, ist es Darimont mittlerweile gelungen, in British
Columbia beheimatete Küstenwölfe direkt beim Fischen zu beobachten. Und er
stellte mit Erstaunen fest, wie erfolgreich sie dabei sind: 21,5 Fische pro
Stunde ziehen sie durchschnittlich aus dem Wasser - fast 40 Prozent der
Fangversuche sind erfolgreich. Dabei bevorzugen die Tiere kleinere Buckellachse
(Oncorhynchus gorbuscha); gelegentlich fixieren sie mit ihren Pranken aber auch
bis zu zehn Kilogramm schwere Keta-Lachse (Oncorhynchus keta) im flachen
Bachwasser auf den Grund.
Doch häufiger noch als die ebenfalls fischenden Bären lassen die Wölfe den
größten Teil ihrer Beute im Wald zurück; von 720 Lachsen fehlten den meisten am
Ende der Mahlzeit lediglich Happen im Kopfbereich. Darimont vermutet darin
durchaus einen Sinn. Denn in Hirn- und Augengewebe ist in großer Konzentration
Docosahexaen-Säure (DHA) enthalten, die besonders wichtig für die Funktion des
Nervensystems ist. Die Vorliebe für Lachskopf könnte auch ein evolutionär
erworbenes Verhalten sein, das die Wölfe vor Parasiten schützt. Die Lachse sind
teilweise mit Neorickettsia helminthoeca infiziert, die bei den Hundeartigen
tödliche Vergiftungen hervorrufen können. Diese Bakterienart gelangt über einen
parasitischen Saugwurm in die Lachse, dessen infektiöse Entwicklungsstadien sich
besonders in Muskelgewebe und Nieren konzentrieren sollen und in den Köpfen
seltener anzutreffen sind.
Bild: Lassen sich den Fisch direkt ins Maul springen: Bären.
Dabei ist die Menge der Fischbeute von Wolf und Bär enorm: In einem Fluss-System
der Queen-Charlotte-Inseln schleppen allein die Schwarzbären rund 6,2 Tonnen
Fische während einer einzigen Lachssaison an Land. Die unverzehrt liegen
gebliebenen Fischreste und fett- und proteinreichen Exkremente von Wölfen und
Bären wirken sich stark auf das Küsten-Ökosystem aus. Von dem verrottenden Fisch
profitieren mindestens 150 Tierarten - von Insekten, die das Fischfleisch als
Nährbett für ihre Larven nutzen, über Zaunkönige, die darin schlüpfende Maden
herauspicken, bis zum Weißkopfseeadler, der sich zum Restefressen nicht zu stolz
ist.
Quelle: Geo Online, Heft Nr. 05/03
Bilder:
Gettyimages
Weiterführende Links: Wikipedia über Bären